Gemeißelte Erinnerung

Nordkirchen/Herbern - Andreas Fabritius setzt die Bohrmaschine an: In den verfallenen Gebäuden entstehen runde Löcher. Dann erst greift der Künstler zum Meißel und arbeitet die Kreise zu Fenster und Türen aus.

 

Es sind Ein- und Ausgänge von Häusern, die ihre Besitzer vor sechs Jahrzehnten unter Zwang verlassen mussten. In ihnen lebten früher Menschen, die aus ihrer Heimat in Schlesien oder Ostpreußen vertrieben wurden.

 

Diese Ruinen-Kulisse ist der obere Teil eines Gedenksteins. Auftraggeber ist der Heimatverein Nordkirchen, der damit an seine viel beachtete Ausstellung über die Flucht und Vertreibung von Deutschen nach dem 2. Weltkrieg anknüpft.

 

Am Mittwoch dieser Woche hat der Herberner Steinmetz Andreas Fabritius mit der Arbeit am Stein begonnen. Doch gedanklich hat er sich schon viel früher mit diesem Werk beschäftigt. Und das genau zeichnet den Bildhauer und sein Kunstwerk aus. "Ich habe mich für einen zweifarbigen Kalksandstein aus einem Steinbruch in Anröchte entschieden", erklärt Fabritius. Blau und grün sind diese prägenden Farben. Vor allem das Grün sieht der Steinmetz als eine Farbe der Heimat mit Wiesen, Feldern und Wäldern an. Doch damit nicht genug. Die Bruchkante mit großen Bohrlöchern, an der der Stein aus dem Berg gesprengt wurde, will der Künstler erhalten. Sie symbolisiert für ihn die gewaltsame Trennung von der Heimat.

 

Pferdehufe

Die weitere Gestaltung wird konkreter. Von rechts unten nach rechts oben ziehen sich Spuren von Wagen über den Stein, auf denen die Vertriebenen ihre Alten und Kranken, ihr Hab und Gut transportierten. Dazwischen meißelt der Steinmetz Pferdehufe sowie Fußabdrücke von Kindern und Erwachsenen ein - Familien auf der Flucht.

 

Die Inschrift hat der Heimatverein ausgesucht. Sie stammt von der ostpreußischen Dichterin Agnes Miegel: "Von der Heimat gehen ist die schwerste Last, die Götter und Menschen beugt." Diesen Satz versenkt Andreas Fabritius in den Stein. Erhaben, also aus dem Stein hervorgehoben, meißelt er dagegen die folgenden Buchstaben: "Verschleppt, verhungert, vertrieben seit 1945."

 

Die Mitglieder des Heimatvereins sind sehr angetan von der Arbeit. Schon seit einem Jahr stehen sie mit dem Bildhauer in Kontakt, haben ihn schon mehrfach besucht. Nun stehen sie in seiner Werkstatt vor dem Gedenkstein und Vorsitzender Erhard Huppert sagt, was alle denken: "Wir haben uns für Andreas Fabritius entschieden, weil er ein wirklicher Künstler ist." - Matthias Münch

 

Samstag, 22. September 2007   Quelle: Ruhr Nachrichten (Nordkirchen)